Die 10 Lernmomente von Kindern, die am häufigsten als solche übersehen werden

Kinder hauen, werfen mit Steinen, spritzen einen nass, spucken, matschen mit Essen oder tun die gleiche Aktivität zum tausendsten Mal. Wir ertappen uns vielleicht dabei, wie wir denken: “Oh nein, nicht schon wieder!” über “Hat dieses Kind nichts besseres zu tun?!”, “Was macht ihr denn da?”, “Darüber haben wir doch schon 100 Mal gesprochen!”, “Hast du die Regeln immer noch nicht verstanden? Die haben wir doch schon so oft erklärt!”, hin zu “Oh Gott, ist das Kind schlecht erzogen! Es hört echt überhaupt nicht!”. Oft missverstehen wir das Handeln der Kinder und bewerten es z.B. als freches Verhalten.

Dabei geht es den Kindern nur um eins: Sie verfolgen (unbewusst) ein interessengeleitetes Lernziel. Jacub möchte gerne wissen, warum seine Stimme manchmal leise und manchmal laut aus seinem Mund herauskommt, deshalb schreit er. Oder Charlotte möchte so gerne ausprobieren, warum das eine Holz leichter zu werfen ist als das andere und warum ein Stein am kürzesten fliegt, wenn sie ihn wirft, wobei ein Blatt eher langsamer vom Baum fällt.

In der pädagogischen Praxis ist es enorm wichtig, die tatsächlichen Lernbedürfnisse der Kinder wahr- und ernst zu nehmen und sie nicht als Provokation zu verstehen. Das ist oft gar nicht so leicht. Es kann jedoch unglaublich entlastend für Fachkräfte sein, wenn sie verinnerlichen, “Kinder verfolgen immer ein intrinsisches Lernthema, auch wenn wir es auf den ersten Blick nicht verstehen!”. Es handelt sich beim Spucken, Werfen, Raufen, Schreien ebenso um Lernfelder, die erprobt werden wollen genauso wie Klettern, Hüpfen, Malen uvm.

In der pädagogischen Praxis ist es enorm wichtig, die tatsächlichen Lernbedürfnisse der Kinder wahr- und ernst zu nehmen und sie nicht als Provokation zu verstehen

10 Lernmomente, die als solche am häufigsten missachtet und unterbunden werden 

1. Werfen

2. Spucken

3. Schubsen, Raufen, Kämpfen

4. Mit Wasser spielen, Wasser spritzen

5. Schreien

6. Ständige Wiederholungen (Treppe hochlaufen/ -krabbeln, irgendwo runterspringen …)

7. Mit Essen spielen

8. Klopfen (z.B. Gegenstände auf den Tisch)

9. Hochklettern (auf den Tisch, Schrank, Stuhl, Zaun…)

10. Nicht hören (weil so vertieft in ein Lernthema)

Wenn die Verhaltensweisen tatsächlich unpassend sind und Grenzen anderer (KInder oder Fachkräfte) verletzt werden, können wir selbstverständlich achtsam Grenzen formulieren. Wichtig ist dabei, dass wir statt einer “Nein”-Grenze, die ausschließlich verbietet, hin kommen zu einer Ja-Grenze, in der eine Alternative oder ein Kompromiss möglich ist. Statt nur zu sagen, was die Kinder lassen sollen, sollten Fachkräfte sagen, was die Kinder stattdessen konkret tun können. Wenn Grenzen verletzt werden, können wir bspw. sagen: „Ich sehe, dass du gerade spucken üben möchtest. Hier passt es gerade nicht, aber wir können ja mal ein Weitspuckwettbewerb machen. Was hälst du davon?“ oder: “Spucken finde ich ekelig. Ich mag nicht angespuckt werden und Lia auch nicht. Du scheinst dich zu ärgern, magst du mir erzählen, was dich ärgert?”. Dadurch wird das Lernbedürfnis des Kindes ernst genommen, es wird gesehen, die Gefühle ernst genommen und gleichzeitig können sanft Grenzen gesetzt werden.

Wichtig ist, zu unterscheiden, handelt es sich bei dem Verhalten um den Ausdruck eines Gefühls wie Wut, Ärger oder Frustration? Möchte das Kind durch Spucken, Hauen oder Schubsen seine Grenzen verdeutlichen? Dann braucht es natürlich einen anderen Umgang, als wenn es sich um ein echtes Explorationsinteresse handelt. Es braucht also mal wieder unsere genaue, wertfreie Beobachtungsgabe und ein responsives Reagieren. Ist das Spucken explorativer Natur, kann bspw. eine Wanne hingestellt werden, in die gespuckt werden darf (“Schaut mal, ihr könnt hier rein spucken!” statt einfach nur “Nicht spucken!”). Wenn es sich um einen Gefühlsausdruck und eine Kommunikation einer eigenen Grenze des Kindes geht, die sich durch das Spucken ausdrückt, braucht es ein zugewandtes Begleiten durch die Fachkraft und eine feinfühlige Gefühlsregulation des Kindes.

Lasst uns also für uns zunächst irritierende Lernmomente nicht als unerzogen abtun, sondern als wunderbare Lernsituationen feiern, mit: „Wie wunderbar, wie Charlotte die Steine wirft!“

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Von der Ohnmacht in die Bewusstheit - Gefühlsreaktionen verstehen

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Bedürfnisorientierte Pädagogik - was ist das?